„Ein Pitch ist eine Wundertüte“ – Interview mit Tobias York zum Pitch-Kodex

Pitches und Ausschreibungen sind für Kreativagenturen teuer und zeitaufwendig. Zudem sind sie meist nicht honoriert, intransparent und gefährden geistiges Eigentum. Für viele sind sie aber der einzige Weg, um neue Aufträge und Kund*innen an Land zu ziehen. Deshalb hat sich die Initiative „Pitch-Kodex“ gegründet. Dahinter stehen 20 große Reporting-Agenturen, die sich für bessere und faire Pitch-Bedingungen aussprechen. Sind die dort formulierten Kriterien bei einer Ausschreibung nicht erfüllt, verweigert die Initiative ihre Teilnahme. Was die Initiative an die große Glocke hängt, ist für kleine Agenturen schon längst Realität, da sie anders gar nicht überleben können. Wir haben mit Tobias York, Geschäftsführer der Berliner Kreativagentur I LIKE VISUALS, über die Pitch-Kultur, den Kodex und Liebesbeziehungen gesprochen.

„Ein Pitch ist eine Wundertüte“ – Interview mit Tobias York zum Pitch-Kodex

 

Tobias York – © I LIKE VISUALS

Pitches gehören zum Alltag einer Kreativagentur wie Hundekot auf Berlins Bürgersteigen. Und sie sind auch genauso unbeliebt. Denn sie kosten viel Geld und Zeit, die wiederum Geld ist, garantieren aber keine Einnahmen, da sie in der Regel unbezahlt sind und logischerweise nur die gewinnende Agentur das Budget erhält. Gerade kleineren Agenturen kann das in finanzielle Schwierigkeiten bringen. Außerdem sind viele Ausschreibungen intransparent, geben kein Budget an und schützen das geistige Eigentum der Bewerber*innen nicht.

Eine Initiative bestehend aus den 20 größten Reporting-Agenturen aus Deutschland, Österreich und Schweiz versucht das zu ändern und hat den “Pitch-Kodex” ins Leben gerufen. Wer einen Pitch ausschreibt, soll sich an die im Kodex festgelegten Mindeststandards halten. Passiert das nicht, verpflichten sich die teilnehmenden Agenturen selbst dazu, nicht an der Ausschreibung teilzunehmen.

Im Kodex sind Kriterien formuliert, die als Standard einer zukünftigen Pitch-Kultur gelten sollen. Darunter fallen u.a. Briefing, Umfang, Transparenz, Geistiges Eigentum und Honorar. Tobias York ist Geschäftsführer bei der Berliner Agentur I LIKE VISUALS und kennt die im Kodex angesprochenen Probleme sehr gut. Deshalb hat die Agentur für Bewegtbild, Branding und Kampagnenbildung schon seit einigen Jahren einen eigenen Umgang mit Ausschreibungen und Pitches finden müssen.

 

Informationslücken schließen

 

© Pitch-Kodex

Ein zentraler Punkt sind die Kosten eines Pitches. Der Gesamtverband der Kommunikationsagenturen (GWA) beziffert diese auf durchschnittlich 18.000 Euro. Zwar werden hier teilweise Honorare gezahlt, sie sind aber noch immer nicht die Regel. Und selbst wenn sie gezahlt werden, decken sie niemals die gesamten Kosten der Pitches, sodass die Agenturen zumindest auf einem Teil sitzen bleiben. Für Tobias sind nicht-honorierte Pitches zwar kein Ausschlusskriterium, “aber da gucken wir dann schon genau hin, ob wir Zeit und Geld investieren wollen. Gerade bei größeren Pitches sehen wir schnell, wie viele tausend Euro da auflaufen, wenn sich ein Team von vier bis fünf Leuten zwei Wochen lang darum kümmert, die Idee rund zu machen. Und viele Kund*innen vergessen einfach, dass wir einen Pitch immer mit allen Bestandskund*innen im Nacken aufbereiten müssen.”

 

Der Pitch-Kodex fordert deshalb eine faire Vergütung, da es die Qualität der Pitches verbessere, aber auch die Unternehmen zu besseren Briefings und mehr Vorbereitung motiviere, wie Eloy Barrantes von der teilnehmenden Agentur nexxar im Interview mit PresseBox erklärt. Damit soll das Risiko auf Agenturseite minimiert und mehr Transparenz geschaffen werden. Denn aktuell fehlten vielen Ausschreibungen beispielsweise wichtige Informationen wie die Angabe des Projektbudgets. Die Agenturen brauchen diese jedoch für die Kalkulation ihres Pitches, um nicht Gefahr zu laufen, selbst im Falle des Erfolges in die roten Zahlen zu rutschen. Die Kosten des Pitches müssen also im Rahmen des Budgets kalkuliert werden. 

günstig gewinnt

© Marvin Meyer

Gerade bei öffentlichen Ausschreibungen werde diese Kalkulation noch dadurch erschwert, dass die Unternehmen sich am Ende für das günstigste Angebot entscheiden würden, wie uns Tobias erklärt: „Die Unternehmen möchten nicht die beste Dienstleistung, sondern die billigste.“ Dementsprechend hoch kann die Zahl der teilnehmenden Agenturen sein. Der Pitch-Kodex fordert hier mehr Transparenz von Unternehmensseite. Ist die nicht gegeben, nehmen die Agenturen der Initiative nicht an einer solchen Ausschreibung teil, um den Druck auf die Unternehmen zu erhöhen.

I LIKE VISUALS nimmt an solch öffentlichen Ausschreibungen gar nicht mehr teil. Die Kreativagentur hat seit einigen Jahren quasi einen internen Pitch-Kodex, ohne den sie laut Tobias auch gar nicht überlebt hätten.

“Wir mussten uns in diesem Bereich anpassen, um überhaupt entscheidungsfähig zu sein, an welchen Ausschreibungen wir teilnehmen und an welchen nicht. Wir könnten ja jeden Tag eine Anfrage annehmen. Einfach mitmachen bringt da nichts, weil dann zwar alle viel zu tun haben, du am Ende aber kein Geld verdient hast. Und ehrlich gesagt haben wir die Erfahrung gemacht, dass wir auch keine Ausschreibung gewinnen, bei der wir uns nicht an unseren eigenen Kodex halten.”

Work Better together

Dieser Kodex ähnelt dem der Initiative. Er fordert Transparenz, direkte Ansprechpartner*innen und mehrstufige Pitch-Verfahren, bei denen eine persönliche Beziehung und Vertrauen entstehen kann. Er unterscheidet sich aber in einem wichtigen Punkt. Anstatt die Unternehmen einfach vor die Tatsache zu stellen, dass die Dinge von nun an anders laufen müssen, versucht I LIKE VISUALS diese abzuholen und für die eigene Arbeitsrealität zu sensibilisieren. Ich merke”, sagt Tobias im Interview, “dass Kund*innen sich sehr schwer damit tun, unsere Dienstleistungen zu verstehen und was da alles dazu gehört. Am Ende entscheidet eine fachfremde Person über den Pitch und denen musst du zeigen, wie unsere Welt funktioniert.

Der Pitch-Kodex sei eine gute Sache, meint Tobias, da er die Problematik einer breiten Öffentlichkeit zugänglich mache und Anknüpfungspunkte schaffe, die sich auch auf die Kommunikation mit den eigenen Kund*innen positiv auswirken könne. Am Ende zähle aber die persönliche Beziehung und das gegenseitige Vertrauen mehr als der Druck der Öffentlichkeit. Deshalb veranstalten I LIKE VISUALS seit einigen Jahren den “Work better together”-Workshop, zu dem sie Bestands-, aber auch potentielle Neukund*innen kostenfrei einladen. So kann die Agentur besser auf die Bedürfnisse der Kund*innen eingehen, diese aber auch umgekehrt den Agenturalltag verstehen lernen. Den Workshop schenkt I LIKE VISUALS den Teilnehmenden Unternehmen, weil sie daran glauben, dass beide Seiten und auch das Endprodukt davon profitieren, wenn beide Seiten mehr miteinander sprechen.

„Wie in einer Liebesbeziehung

Gerade am Anfang brauchst du Ruhe und Zeit, um herauszufinden zu können, ob es inhaltlich und menschlich, aber auch vom Workflow her passt. Das ist wie bei einer Liebesbeziehung, wo es wahnsinnig wichtig ist, dass du dich zu Beginn richtig kennenlernst, um eine Vertrauensbasis aufbauen zu können. Dafür ist ein Pitch einfach nicht geeignet. Ein Pitch ist eine Wundertüte.”

In diese Wundertüte greifen I LIKE VISUALS nur noch sehr selten. Und wenn sie es tun, sind ein persönlicher Kontakt, Transparenz und letztlich Vertrauen Grundvoraussetzungen für die Teilnahme. Öffentliche Ausschreibungen kommen so per se nicht mehr infrage. “Wir wollen partnerschaftlich arbeiten und ehrlich diskutieren können. Das ist unser Credo und das sagen wir den Kund*innen gleich zu Beginn einer Anfrage.” Was der Pitch-Kodex aufs öffentliche Tableau bringt, ist für kleinere Kreativagenturen längst Realität: “Umso größer ein Unternehmen, umso größer auch die Freude über den Pitch-Kodex. Aber kleinere Agenturen wie wir sind diesen Weg schon längst gegangen.”


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