Das Potential der Kultur- und Kreativbranche wurde lange Zeit unterschätzt. Nicht nur hinsichtlich ihrer Wirtschaftskraft, sondern auch hinsichtlich ihres Wertes für gesellschaftliche und politische Entwicklungs- und Transformationsprozesse. Und inmitten eines solcher Transformation befinden wir uns gerade, die entlang der großen Themen Digitalisierung, Chancengleichheit sowie Struktur- und Klimawandel verhandelt wird; ganz zu schweigen von der Pandemie, die uns vor ungewohnte Herausforderungen stellt und neue Lösungsansätze fordert. Kreativität ist hier zu einem Buzzword geworden, das für zukunftsfähige Ansätze und für ein Denken jenseits des sprichwörtlichen Tellerrandes steht.
Auch die Bundesregierung hat das Potential von Kultur und Kreativität erkannt und bereits 2007 die Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft ins Leben gerufen. Bei der Initiative geht es nicht nur darum, die Wettbewerbsfähigkeit der KuK aus sich selbst heraus zu stärken, sondern auch um die Erzeugung von Synergieeffekten mit anderen Wirtschaftszweigen, um gesellschaftliche Entwicklungen anzustoßen und nachhaltig umsetzen zu können. Zentral für diese Synergieeffekte ist das Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes.
Das Kompetenzzentrum arbeitet eng mit der KuK zusammen und bringt sie mit Akteur*innen aus Politik, Gesellschaft und Wirtschaft zusammen, um Chancen möglicher Kooperationen aufzuzeigen. So sollen innovative Lösungen für ganz akute Problemstellungen gefunden und Synergieeffekte für die gesellschaftliche Transformation erzeugt werden. Julia Köhn arbeitet seit 2015 beim besagten Kompetenzzentrum und ist dort seit letzten Jahr Projektleiterin. Ihr großer Vorteil: sie kommt selbst aus der Kreativbranche und bringt so wertvolles In-Side-Wissen mit.
Julia Köhn, wie sind Sie zum Kompetenzzentrum gekommen und worin bestehen Ihre Aufgaben als Projektleitung?
Julia Köhn: Ich mag verschlungene Wege und so habe ich an sehr verschiedenen Stationen Halt gemacht, bevor ich 2015 zum Kompetenzzentrum Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes kam. Ursprünglich habe ich Schauspiel an der HfMT in Hamburg studiert und den Beruf auch einige Jahre sehr gern ausgeübt. Allerdings hatte ich irgendwann das Bedürfnis, Im Ausland zu arbeiten und diese Welt, von der man auf der Bühne erzählt, nochmal anders kennenzulernen und mitzugestalten. Ich habe dann noch einen MBA gemacht und war u.a. Unterwassertechnikerin bei einem Zirkus in Macau und Managerin der internationalen Projekte an der Schnittstelle von zeitgenössischer Kunst und Meeresschutz bei einer Stiftung in Wien. Beim u-institut, dem Projektträger des Kompetenzzentrums, war ich zunächst regionale Ansprechpartnerin, Transfermanagerin und Programmkoordinatorin für das Kompetenzzentrum. Seit 2020 bin ich Leiterin des Projekts. Gemeinsam mit dem Team erstellen wir Analysen zur Branche und konzipieren und realisieren Veranstaltungen, Lab-Strukturen, eine Vielzahl an Kommunikationsangeboten, Workshops und Vermittlungsformaten, um die Sichtbarkeit und Vernetzung der Kultur- und Kreativwirtschaft zu verbessern.
Hilft es Ihnen bei Ihrer heutigen Arbeit, dass Sie selbst aus der Kreativbranche kommen?
Natürlich. Es ist auf jeden Fall gut, wenn man Erfahrungen in dem Bereich hat, über den man redet. Ich habe viele Herausforderungen und Fragen aus der praktischen Arbeit als Akteurin der Kultur- und Kreativwirtschaft für mich selbst bewegt. Wenn ich heute mit dem großen Netzwerk des Kompetenzzentrums spreche, also sowohl mit Personen aus der Branche selbst als auch aus Verwaltung, Politik, Forschung und anderen Branchen, kann ich durch die verschiedenen Positionen, die ich bisher hatte, eine Brücken- und Übersetzungsfunktion einnehmen.
Welche Rolle spielt das Kompetenzzentrum innerhalb der Struktur der Initiative Kultur- & Kreativwirtschaft der Bundesregierung? Es scheint, als seien Sie ein zentraler Kommunikationspunkt.
Das Kompetenzzentrum ist Teil der Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft der Bundesregierung, die wiederum eine Gemeinschaftsinitiative von dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie [BMWi] und der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien [BKM] ist. Wir arbeiten in ihrem Auftrag. Für uns als Projekt innerhalb der Initiative ist sowohl ein großer Praxisbezug zentral als auch Impulse auf Basis der unternehmerischen und innovativen Kraft der Branche zu setzen. Wir bilden eine Plattform für die Branche insbesondere in Hinblick auf ihre Gestaltungsstärke von Zukunft und ihren Impact in anderen Branchen und gesellschaftlichen Sektoren.
Eine der zentralen Aufgaben des Kompetenzzentrums ist die Sichtbarmachung der Potentiale der Kultur- und Kreativwirtschaft. Wenn ich es richtig verstehe, geht es dabei um branchenübergreifende Synergieeffekte. Wie genau gehen Sie hier vor und wie offen sind andere Branchen für die Zusammenarbeit mit der KuK?
Um die großen Potenziale der Branche zu vermitteln, entwickeln wir immer wieder neue Formate und Ansätze für Projekte, die gezielt darauf ausgerichtet sind, die Kultur- und Kreativwirtschaft mit anderen Sektoren aktiv zusammenzubringen und gemeinsam konkrete Lösungen für aktuelle Herausforderungen zu finden. Hier geht es immer um Kooperation auf Augenhöhe und nicht um Dienstleister*innenlogik. Dieses „gemeinsam“ sorgt dafür, dass wir in der Regel auf Offenheit anderer Bereiche für Zusammenarbeit stoßen, denn letztlich ist uns allen glaube ich klar, dass es Aufgaben und Themen gibt, die niemand und keine Branche allein lösen kann. Nichtsdestotrotz gibt es schon immer noch auch Kooperationsbarrieren und Berührungsängste. Diesen versuchen wir dann mit Angeboten, Instrumenten und Impulsen entgegenzuwirken, die aufzeigen, dass die Kultur- und Kreativwirtschaft eine starke, verlässliche und mehrwertstiftende Innovationspartnerin ist und bei gesellschaftlichen Fragestellungen oder konkreten Herausforderungen anderer Sektoren zu neuen Lösungen beitragen kann. Erst vor Kurzem fand beispielsweise das Innovation Camp UMPFLASTERN statt. Das ist ein Format, bei dem über 2,5 Tage branchenübergreifend Ideen und Lösungen entwickelt werden. In diesem Fall ging es um die zentrale Rolle, die die Branche in der Innenstadtentwicklung spielt, um sie erlebnisorientierter und menschzentrierter zu gestalten.
Die KuK nimmt eine besondere Rolle beim Strukturwandel ein. Inwiefern können betroffene Unternehmen von der KuK profitieren und wie kann das Kompetenzzentrum hier die nötigen Impulse setzen?
Debatten über Strukturwandel fokussieren sich häufig auf einen zukünftigen Mangel, zum Beispiel in Bezug auf Arbeitsplätze oder die Bedeutung als Industriestandort. Das ist verständlich und es sind ohne Frage zentrale Themen, für die Lösungen gefunden werden müssen. An vielen Stellen wird das Ganze dann aber nahezu ausschließlich über infrastrukturelle Antworten angegangen. Bestehende Chancen bleiben meiner Ansicht nach häufig außen vor. Die Kultur- und Kreativwirtschaft macht deutlich, dass es bei dem Thema in höchstem Maße um ein Invest in Talente, Köpfe und Ideen geht. Es geht auch um Narrative, um Kommunikation, um Beteiligung und das Gestalten von Lebensräumen und um unternehmerisches Denken und Handeln. Die Branche mit ihren vielen Klein- und Kleinstunternehmen und Selbstständigen macht bereits an vielen Stellen flexibel, innovativ und mit direktem Bezug zur Lebensrealität der Menschen vor Ort Angebote, die den Wandel gemeinsam gestaltbar machen. Und zwar nicht für sondern mit der Bevölkerung.
[Hier gibt es die Dokumentation des Creative Lab #2: Kohle Ideen, das sich mit dem Strukturwandel beschäftigt hat.]
Bei der Initiative Kultur- & Kreativwirtschaft der Bundesregierung geht es auch politische Repräsentation Deutschlands als Kultur-, Innovations- und Wirtschaftsstandort und den Anspruch, hier eine Vorreiterrolle im internationalen Vergleich einzunehmen. Wird die Bundesregierung als Auftraggeber dieser Rolle gerecht?
Die Gemeinschaftsinitiative von BMWi und BKM im Thema Kultur- und Kreativwirtschaft ist auf internationaler Ebene meines Wissens nach noch immer einzigartig. Uns erreichen regelmäßig Anfragen aus dem europäischen Raum, unsere Arbeit vorzustellen.
Es freut uns natürlich, dass die Arbeit des Kompetenzzentrums und weiteren Projekte wie die Auszeichnung Kultur- und Kreativpilot*innen Deutschland an verschiedenen Stellen im internationalen Raum und bei europäischen Studien als Best Practice Beispiele angeführt werden. Insgesamt ist die Sichtbarkeit der Branche in den vergangenen 12 Jahren sowohl national als auch international deutlich gewachsen. Aber es gibt weiter viel zu tun. Und wir als Kompetenzzentrum haben den Anspruch, auch weiterhin kontinuierlich mehrwertstiftende Formate und Ansätze zu entwickeln, die die Sichtbarkeit der Kultur- und Kreativbranche als zentrale Wirtschaftsbranche der Gestaltung von Gesellschaft und Wirtschaft stärkt.
Wie schätzen Sie die Zukunft der KuK unter Pandemiebedingungen ein?
Die Kultur- und Kreativwirtschaft gehörte zu den Branchen, die als erstes von den Einschränkungen durch die Pandemie betroffen waren und in vielen Bereichen als letztes wieder ihren Betrieb aufnehmen können. Wir haben mit zwei Betroffenheitspapieren die immensen wirtschaftlichen Auswirkungen aufgezeigt und werden zum Ende des Jahres hier eine weitere Aktualisierung vornehmen. Wir müssen gemeinsam Sorge tragen, dass die Branche als Betätigungs- und Gründungsfeld dauerhaft attraktiv bleibt und die Innovationskraft der Branche, die in ihrer Struktur zu 97% von Klein- und Kleinstunternehmen und einer hohen Anzahl Selbstständiger bestimmt ist, gestärkt und nutzbar gemacht wird. Schließlich geht es um die Gestaltung unser aller Zukunft und dafür gilt es mehr denn je, geeignete Instrumente zu schaffen.
Wir bedanken uns bei Julia Köhn für das Interview.
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