„KI ist keine Science Fiction“ – Interview mit Eugen Gross von aiconix

Künstliche Intelligenz ist nicht mehr nur eine Idee, die den Stoff für Science Fiction Geschichten liefert. Bei immer mehr Technologien kommt sie real zum Einsatz und beeinflusst mehr oder weniger sichtbar unsere Realität. Das Geheimnis dahinter lässt sich relativ nüchtern mit Big Data erklären. Eugen Gross kommt aus der Kreativwirtschaft, war aber schon immer begeistert von Technik und Daten. Als Gründer der Firma aiconix verfolgt er die Vision, diese beiden Sphären zusammenzubringen und in diesem Zuge kreative Schaffensprozesse zu unterstützen und zu vereinfachen. Für ihn ist Künstliche Intelligenz ein Schweizer Taschenmesser, das wir zu nutzen lernen müssen. Im Interview haben wir uns das von dem sympathischen Entrepreneur genauer erklären lassen.

„KI ist keine Science Fiction“ – Interview mit Eugen Gross von aiconix

Die Idee Künstlicher Intelligenz liefert Kreativschaffenden schon seit dem 18. Jahrhundert Stoff für ihre Geschichten und Zukunftsentwürfe. Die meist düsteren Dystopien flankieren die technischen Entwicklungen der jeweiligen Zeit und reflektieren so das Mensch-Maschine-Verhältnis hinsichtlich ethischer und medienwissenschaftlicher Fragestellungen. Doch inzwischen sind wir in einer Zeit angekommen, in der das, was einst Idee und Fantasie war, durchaus Realität für sich beansprucht. So auch Künstliche Intelligenz (KI), die zu einem Buzzword in der Medien- und Tech-Branche geworden ist. Selbst die Kreativität ist nicht mehr sicher vor ihr, so wird es zumindest von vielen Seiten behauptet. Wir haben mit Eugen Gross gesprochen, Gründer der Firma aiconix und selbst fasziniert von KI-Technologie. Er sieht KI als Tool, das wir zu nutzen lernen müssen. Selbst aus der Kreativbranche kommend hat er mit seiner Vision genau diese im Blick.

Eugen Gross ist in Österreich geboren und aufgewachsen. Nach der Schule hat er in Wien als Kameraassistent bei einer Filmproduktionsfirma gearbeitet, damals noch mit Zelluloid und dem großen Traum, nach Hollywood zu gehen. In den 1990ern, den goldenen Jahren des deutschen Fernsehens, hat es den jungen Kreativen dann immerhin nach Berlin verschlagen. Bedarf an Personal gab es genug, doch war es in dieser Zeit für einen Ausländer wie Eugen gar nicht so einfach, eine Arbeitsgenehmigung zu bekommen. Also machte er sich als Kameramann selbstständig und konnte das Problem so umgehen. Im Laufe der Zeit hat er alles an Musik, Unterhaltung und Shows gedreht, was es in diesem Land gibt.

Kreativität und Technik liegen nah beieinander und Eugen konnte sich schon immer für beides begeistern. Und so war er zeitweise auch als Satelliten-Techniker bei Liveübertragungen tätig. Da ihn die kreative Arbeit dann aber doch mehr faszinierte, landete er schnell wieder hinter der Kamera. Wie er von da aus zum Entrepreneur geworden ist, worin seine Vision für aiconix besteht und was Kreativität im Kontext Künstlicher Intelligenz für ihn bedeutet, haben wir ihn im Interview gefragt.

 

Eugen, wie bist du von deiner Tätigkeit als Kreativ- und Medienschaffender zur Gründung von aiconix gekommen?

Eugen Gross, Gründer von aiconix – © Morris Mac Matzen

Während meines Studiums (Executive MBA) in Medienmanagement habe ich mich viel mit Daten beschäftigt. Gerade im Bereich der Kreativwirtschaft habe ich ein Ungleichgewicht gesehen, wer beispielsweise in Verlagshäusern Zugriff auf bestimmte Daten hat. Die Marketingabteilung weiß z.B., dass eine bestimmte Zielgruppe einen Film an einer bestimmten Stelle abgeschaltet hat. Aber wir Kreativen haben auf solche Daten keinen Zugriff. Das heißt, ich konnte einen Film x-mal machen, habe aber jedes Mal ein Teil des Publikums an einer gewissen Stelle verloren, weil ich diese Informationen nicht hatte und daraus nicht lernen konnte. Vielleicht lag es am Protagonisten, am Storytelling oder an der Musik. Die Daten hätten mir das gezeigt. In meiner Masterarbeit habe ich mich dann in diesem Zusammenhang mit Künstlicher Intelligenz beschäftigt und daraus ist dann auch aiconix entstanden.

 

Was genau bietet aiconix an?

Zu Beginn haben wir uns erstmal mit Künstlicher Intelligenz beschäftigt und geschaut, was es auf dem Markt gibt: wer ist gut in Spracherkennung, wer in Gesichtserkennung, wer kann semantische Analyse am besten usw. Wir haben dann ein Stipendium bekommen und sind an die Technische Universität Hamburg gezogen, wo wir geforscht und Daten erhoben haben. Während unserer Arbeit haben wir dann schnell gemerkt, dass es großen Bedarf an einer Plattform gibt, die all die vorhandenen Provider am Markt bündelt. Eine solche Plattform haben wir dann zum Startup gemacht. Mittlerweile bündeln wir aber nicht nur die Provider, sondern im Bereich Spracherkennung gehen wir sehr viel tiefer. Wir haben mehrere Sprach-Modelle in der eigenen Infrastruktur laufen und können immer kombinieren und bewerten, welches Modell das genauste Ergebnis liefert. So können wir in der Spracherkennung immer besser sein als die einzelnen Anbieter.

 

Was sind denn die Anwendungsgebiete eures Produktes?

Zielgruppe sind Unternehmen, die Medieninhalte besitzen. Und da gibt es ja heute kaum noch welche, die das nicht tun. Und hier ist Barrierefreiheit momentan das größte Thema. Denn jedes Unternehmen sollte barrierefreien Zugang ermöglichen. Unser Produkt kann z.B. Pressekonferenzen in Echtzeit untertiteln und auch übersetzen. Der Bedarf dafür ist enorm. So werden auch Fernsehsender in Zukunft zunehmend barrierefrei werden müssen. Diese haben zwar große Untertitel-Redaktionen, aber die Masse an Content können sie unmöglich bewältigen. Und da ist KI ein nützliches Tool, das nicht alles lösen, aber welches für große Datenmengen sehr schnell Metadaten erzeugen kann. Dadurch werden Zusammenhänge sichtbar und verständlich.

 

Inwiefern ist das auch für Kreativschaffende interessant?

Wenn wir früher einen Beitrag gedreht haben, dann durften wir vier Minuten Zelluloid für eine Minute Sendung verbrauchen. Heute ist das lächerlich, da hast du an jeder Ecke ein Handy, eine GoPro, eine zweite Kamera, Gegenschuss… da entstehen schnell hunderte Stunden Content. Und als Kreative*r kannst du dich gar nicht mehr auf den kreativen Prozess konzentrieren, wenn du im Grunde mit mechanischen Arbeiten beschäftigt bist. Das gilt auch für Journalist*innen, die vor lauter Transkriptionsarbeit gar nicht dazu kommen ihre Artikel in Ruhe zu schreiben, was ja das ist, was sie lieben. Dafür brauchst du Tools, die dich unterstützen, und KI kann ein solches Tool sein.

„Eine KI ist immer nur so clever wie die Daten, die du hinzugefügt hast.“

Unter dem Begriff Künstlicher Intelligenz werden allerhand Techniken und Anwendungen subsumiert, wie Algorithmen, Neuronale Netze, maschinelles Lernen usw. Kannst du kurz erklären, wie du den Begriff verwendest?

Ich bin ja auch kein Entwickler. Aber mein damaliger Partner hat immer gesagt, ein Algorithmus ist immer nur so clever wie der*die Entwickler*in dahinter. Und eine KI ist immer nur so clever wie die Daten, die du hinzugefügt hast. Wenn wir z.B. ein Sprachmodell mit Daten aus Norddeutschland machen, dann kommt ein ganz anderes Ergebnis heraus, als wenn die Daten aus Bayern stammen. Deshalb handelt es sich dabei auch strenggenommen nicht um eine KI, sondern um maschinelles Lernen. Hier wird der Maschine etwas beigebracht. Du gibst ihr eine Millionen Bilder von Katzen und eine Millionen Bilder von Hunden und am Ende wird die Maschine nichts anderes können, als Hunde von Katzen zu unterscheiden. Es wird ja gerne behauptet, KIs könnten längst kreativ sein, weil sie beispielsweise Musik schreiben, wenn man ihnen Musikdaten gibt. Das ist für mich aber nicht kreativ, sondern eine Wiederholung dessen, was die KI gelernt hat und in veränderter Form neu ausspielt. Kreativ bedeutet für mich mit Regeln und Normen zu brechen, wenn etwas wirklich Neues entsteht, wo Entscheidungen für oder gegen etwas getroffen werden. Kreative haben sich schon immer mit neuer Technik auseinandergesetzt, die ihre Arbeit und letztlich auch den Content verändert hat. Und ich glaube, KI ist auch so ein neues Tool, das Kreative zu nutzen lernen müssen. Viele meiner Kolleg*innen haben da noch große Berührungsängste.

 

Hast du hier eine Vision für aiconix, wie sich ein solches KI-Tool in der Kreativwirtschaft anwenden ließe?

Ich habe eine Vision, ja. Die Plattform, die wir jetzt vermarkten, stellt nur die Grundlage dafür dar. Der Gedanke ist der, eine KI zu haben, die mich dabei unterstützt, die vielen Daten der Zuschauer*innen auszuwerten, dass ich also sehen kann, was eine bestimmte Zielgruppe mag und was nicht. Es geht darum, zu erkennen, was im Video passiert und wie das mit dem Nutzer*innenverhalten bei unterschiedlichen Zielgruppen in Zusammenhang steht. Doch wir wollten nicht nur wissen, wann sich eine Person dafür entscheidet abzuschalten, sondern wir wollten wissen, wann wir sie dramaturgisch verloren haben. Dafür haben wir an der Universität Proband*innen Videos gucken lassen und im Neurolabor professionelle EEG-Daten erhoben. So konnten wir sehen, wann die Aufmerksamkeit abgenommen hat. Mit diesen Daten kann eine KI den Kreativschaffenden einen Hinweis geben, wo dramaturgisch etwas bei den Nutzer*innen passiert und welche Stellen sie sich nochmal anschauen sollten. Ich möchte diese zwei Welten, die Kreativität und die Daten, zusammenführen und schauen, was dabei herauskommt, wenn man sich von den Daten beraten lässt, ohne sich dabei die Kreativität aus der Hand nehmen zu lassen. Das zusammenzuführen ist dann schon wirklich high end, aber genau das ist meine Vision für aiconix. Ich möchte einfach gute Geschichten erzählen.

 

Es gibt eine breite gesellschaftliche Debatte über das Problem von Algorithmen und wie diese unsere Realitäten beeinflussen. Dabei geht es nicht nur um die Playlists bei Spotify und die Gefahr des Einheitsbreis, sondern auch um Einflussnahme auf politische Wahlen. Da herrscht große Skepsis und auch Angst gegenüber solchen Technologien. Kannst du das nachvollziehen?

Definitiv! Das ist aber genau der Punkt: wir müssen erst lernen mit der Technologie umzugehen. Da muss man ja auch gar nicht tief eintauchen. Aber es ist wichtig zu verstehen, was sie kann und was sie nicht kann. Und wenn wir das verstanden haben, dann haben wir auch die Möglichkeit, das Ergebnis zu hinterfragen. Vielleicht müssen wir in Zukunft auch öffentlich anzeigen, wenn eine KI einen Content produziert hat. Finnland ist da ein gutes Beispiel, wo sich die Bevölkerung in kostenlosen Kursen in der KI-Nutzung schulen lassen konnte. So lässt sich verstehen, was die Technologie Gutes kann, wo ihre Grenzen liegen und dass sie auch für Dinge verwendet werden kann, die nicht gut sind. Ich hoffe, dass die Kreativen in diesem Land sich genauso damit beschäftigen und dann entscheiden, ob sie es nutzen möchten oder nicht. KI ist eine technische Erweiterung. Die klassische Kunst, Musik oder Malerei wird nicht verschwinden, nur weil es zusätzlich KI-Schöpfungen gibt.  Die KI ist keine Science Fiction, sondern sie ist das Schweizer Taschenmesser, das wir alle hoffentlich bald in der Tasche haben, damit wir schneller arbeiten und uns bei kreativen Prozessen unterstützen lassen können.

aiconix.ai


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