Zwischen Prekarität und Erfolg – Risiko und Chance in der Kreativbranche

Die Kultur- und Kreativbranche übt eine große Faszination aus. Laut einer Befragung des Software-Herstellers Adobe streben über die Hälfte junger Studierender eine kreative Laufbahn an. Doch zur Realität vieler Kreativschaffender gehört auch finanzielle Unsicherheit und das stetige Risiko, in die Prekarität abzurutschen. Häufig muss die Leidenschaft mit anderen Jobs kofinanziert werden, um ein Leben über der Armutsgrenze zu ermöglichen. Die Krise hat die Bedeutung der Kreativität für die Gesellschaft und ihre Transformationsprozesse unmissverständlich herausgestellt. Deshalb fordert die OECD mehr Kreativität im Lehrplan der Schulen und der Deutsche Kulturrat eine Verankerung der Branche in der Politik.

Zwischen Prekarität und Erfolg – Risiko und Chance in der Kreativbranche

Der Reiz einer beruflichen Laufbahn in der Kultur- und Kreativbranche (KuK) ist groß. Freiheit, Prestige und Coolness werden mit einem solchen Lebensweg verbunden. Doch leider kosten diese Attribute viel zu oft den Preis der Prekarität. Laut dem Büro für Kulturwirtschaftsforschung Köln verdienen 27 Prozent der Vollzeit arbeitenden Kreativschaffenden weniger als 1.100 Euro netto pro Monat, was einem Leben unter der Armutsgrenze entspricht. Hinzu kommt die vergleichsweise große Zahl an Selbstständigen in der KuK, die gemäß dem Monitoringbericht Kultur- und Kreativwirtschaft 2020 bei über 30 Prozent liegt und von denen über die Hälfte weniger als 1.400 Euro brutto verdienen. Wer sich für einen solchen Weg entscheidet, braucht Mut, muss sich mit anderen Jobs über Wasser halten und sich über die Durststrecken hinweg motivieren, irgendwann doch noch zu den Mehrverdienenden zu gehören.

Denn natürlich stehen diesen prekär lebenden Kreativschaffenden auch die durchaus gut Betuchten gegenüber. 24 Prozent der Vollzeitbeschäftigten verdienen mehr als 2.000 Euro netto, gibt das Büro für Kulturwirtschaftsforschung Köln an. Die Einkommensbandbreite in der KuK ist demnach sehr viel höher als in anderen Berufsgruppen, was zumindest den Traum vom Erfolg ernährt. Denn letztlich ist das ja genau diese romantische Bob Dylan-Story in kleinerem Maßstab, die wahrscheinlich zumindest unbewusst viele Kreativschaffende motiviert und zu Höchstleistungen antreibt: Dylan ging damals als Jugendlicher ohne Geld und elterliche Unterstützung nach New York und lebte dort in prekären Verhältnissen. Aber er hielt an seiner Leidenschaft fest und wurde am Ende zum Weltstar.

Passion unter der Armutsgrenze

Prekarität und Welterfolg markieren die beiden Extreme der Kultur- und Kreativbranche, wobei die Wahrscheinlichkeit der ersteren wesentlich höher ist. “Passion Led Us Here” klingt gut, bekommt aber eine weniger positive Bedeutung, wenn sich dieses “Here” unter der Armutsgrenze befindet. Und ein solches Leben in stetiger finanzieller Sorge trotz harter Arbeit klingt dann gleich sehr viel weniger nach Freiheit und Prestige. Die Angst davor hält viele junge Menschen davon ab, sich für eine Laufbahn in der KuK zu entscheiden. Gerade nach der Corona-Krise, in der viele Kreative und Fachkräfte abgewandert sind, ist das durchaus ein Problem.

Dabei ist der Wille unter jungen Menschen, kreativ tätig zu sein, wohl noch nie höher gewesen. Zumindest kommt eine Befragung des Software-Herstellers Adobe zu einem solchen Ergebnis, die zu eigenen Marketingzwecken durchgeführt wurde. Befragt wurden gut 2.500 Menschen, die in die Gruppen Studierende (im Alter zwischen 18 und 24 Jahren), Kreativschaffende und in anderen Berufen tätige Personen aufgeteilt wurden. In der Gruppe der Studierenden gaben mit 55 Prozent über die Hälfte der Befragten an, eine Laufbahn in der Kultur- und Kreativbranche anzustreben. Besonders begehrt seien die Bereiche Film, Foto und Influencer (auffällig passend zur Produktpalette von Adobe). Es scheint aber nicht nur die Angst vor der Prekarität zu sein, die viele davon abhält, diesen Weg tatsächlich zu gehen. Viele wüssten nicht, wie ihnen der Einstieg gelingen könnte, weil es an den Bildungsinstitutionen an Zugängen und fähigem Personal fehle.

Die Befragung Adobes dient zur Bewerbung einer eigenen Kampagne, die auf den Bildungssektor gerichtet ist. Die Ergebnisse sind also mit etwas Vorsicht zu bewerten bzw. möglicherweise etwas geschönt. Trotzdem ist es interessant, dass 40 Prozent unter den befragten Kreativschaffenden angaben, sie seien mit den Lernmethoden zur kreativen Förderung in der Schule nicht zufrieden gewesen. Und sogar 82 Prozent sprachen sich für eine Verpflichtung der Aufnahme kreativer Inhalte in den Lehrplan aus. Denn Kreativität spiele auch in anderen Berufen jenseits der KuK eine wichtige Rolle, wovon viele der Befragten überrascht gewesen seien.

Schule bilde „Zweitklassige Roboter“

Schon lange wird diesbezüglich Kritik am Schulsystem geäußert, da es die Kreativität von Kindern und Jugendlichen aufgrund des engen Korsetts des Lehrplans und des Leistungsdrucks stark beeinträchtigte. Und tatsächlich bestätigt eine erste Vergleichsstudie zu sozialen und emotionalen Kompetenzen von 10 bis 15 Jährigen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) diesen Eindruck. Die Kreativität bei den älteren Teilnehmenden sei weniger ausgeprägt als bei den jüngeren. Der OECD-Bildungsdirektor Andreas Schleicher bezieht das auf die Schulen. Im Interview mit Deutschlandradio sagte er: „Da nehmen uns die Schulen den jungen Menschen etwas weg, was für die Entwicklung sehr wichtig ist“. Noch deutlicher wird er in der Aussage, dass Mathematik, Sprache und Naturwissenschaften zwar wichtige Kernfächer seien, es aber nicht mehr ausreiche, “zweitklassige Roboter” zu bilden.

In der Adobe-Befragung gaben 41 Prozent aus der Gruppe der Nicht-Kreativschaffenden an, dass sie es bedauern würden, keine kreative Laufbahn eingeschlagen zu haben. Doch das retrospektive Bedauern ist sehr viel einfacher als die Entscheidung im Moment ihrer Notwendigkeit. Wer sich für den risikoreichen Weg einer*s Kreativschaffenden entscheidet, braucht entweder Selbstbewusstsein und Mut oder finanzielle Absicherung durch Erspartes oder Unterstützung der Eltern. So wird auch die Karriere in der KuK zu einer Frage von Privileg, Klasse und Chancengleichheit.

„Nicht erst in Krisenzeiten auf die Branche aufmerksam werden.“

Der Deutsche Kulturrat hat hier sehr klare Forderungen an die neue Bundesregierung gestellt. Speziell in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik müssten die Rahmenbedingungen für Künstler*innen und Solo-Selbstständige dringend verbessert werden, was besonders durch die Corona-Krise an Dringlichkeit gewonnen hat. Es sei besonders wichtig, die Kultur- und Kreativwirtschaft auf der politischen und auch administrativen Ebene zu verankern und ihr so Ansprechpartner*innen zu geben, “die einen kontinuierlichen Dialog pflegen und nicht erst in Krisenzeiten auf die Branche aufmerksam werden”.

„Wir brauchen Künstler[*innen] mehr als je zuvor“, sagte der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats Olaf Zimmermann kürzlich in einem Interview mit der Augsburger Allgemeinen. Der Wille unter den jungen Menschen ist da, einen solchen Weg einzuschlagen. Begonnen beim Lehrplan der Schulen, über bessere Zugänge in Bildungseinrichtungen bis hin zu der sozial- und arbeitsmarktpolitischen Verankerung der KuK gibt es noch viel zu tun, damit dieser so wichtigen Bevölkerungsgruppe der Weg geebnet werden kann.


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