Production Music – Ein verborgenes Musik-Business

Production Music bezeichnet einen nicht-kommerziellen Bereich der Musikindustrie. Die von speziellen Verlagen und Labels vertriebene Musik wird meist ausschließlich für den Einsatz in Film, TV, Werbung, Radio oder Games produziert. Hier gibt es keine Stars und keinen Fame. Und obwohl es sich um ein milliardenschweres Business handelt und Production Music unsere Hörgewohnheiten so stark prägt, wissen nur wenige von dessen Existenz. Der entscheidende Unterschied zum kommerziellen Musikmarkt ist das Lizenzierungsmodell. Im Beitrag erklären wir das Modell und stellen Traditionsreiche Production Music-Labels wie De Wolfe Music und KPM vor, die wahre Schätze der Musikgeschichte in ihren Libraries verwahren.

Production Music – Ein verborgenes Musik-Business

Tagtäglich lassen wir uns von all dem konsumierten Content in emotionale Gefühlswelten entführen. Anmutend, aufregend, traurig, spektakulär… Eine große Rolle spielt dabei die Musik, die teils unmerklich die inhaltliche Seite des Contents rahmt und unsere Einordnung beeinflusst. Ein und derselbe Spot kann mit unterschiedlich gewählter Musik zur Untermalung ganz andere Wirkungen erzielen. Im kommerziellen Bereich wird diese Rolle der Musik häufig genutzt, um wirtschaftliche Synergieeffekte zu erzielen, allen voran ist hier die Werbung. Ein Vodafone-Spot aus dem Jahre 2010 ist nur ein Beispiel aus einer langen Liste, wo der Erfolg der Band, hier Empire of the Sun, wie auch das Brand voneinander profitiert haben. Doch dieser kommerzielle Bereich ist nur die Spitze des Eisbergs, während der sehr viel größere Teil der Musik unbekannt und gesichtslos ist. Wo kommt diese Musik her, wer hat sie produziert und wer verdient eigentlich daran?

Die „Schwarze Hütte“ der Musikindustrie

Dieser nicht-kommerzielle Bereich der Musikindustrie wird Production Music, Library Music oder seltener auch Stock Music genannt. Wer den Blick hinter den Vorhang dieses Bereiches wagt, fühlt sich ein bisschen so wie Agent Cooper aus Twin Peaks, als dieser in den Warteraum der „Schwarzen Hütte“ eintritt und dem “Man from another place” begegnet. Irgendwie läuft hier alles ein bisschen anders als von der Musikindustrie gewohnt. Keine Stars, kein Fame, keine Fans. Und trotzdem handelt es sich um ein milliardenschweres Business, das mehr oder weniger unbemerkt jenseits der medialen Öffentlichkeit vonstatten geht, obwohl es unsere mediale Realität so stark prägt. Und tatsächlich ist es sehr häufig auch gar nicht der “Man from another place”, sondern bekannte und erfolgreiche Künstler*innen, die hinter der Musik stecken.

Production Music ist kein neues Phänomen, sondern hat eine lange Tradition, die mit der Entwicklung des Tonfilms in den 1920er Jahren zusammenfällt. Stummfilme waren nie wirklich stumm, sondern wurden von improvisierter Live-Musik begleitet, teilweise sogar von ganzen Orchestern. Bereits 1909 wurde in diesem Zusammenhang De Wolfe Music gegründet. Das Londoner Unternehmen verlegte Sheets für Stummfilme, deren Lizenzen von den Spielstätten erworben werden konnten. De Wolfe arbeitete teilweise mit bekannten Musiker*innen und Orchestern zusammen und legte schon damals eine Library solcher Sheets an.

In den 1920er Jahren wurde das Lichttonverfahren vorgestellt, mit dem die Speicherung von Bild und Ton auf demselben Trägermedium möglich wurde, sodass Bild und Ton synchronisiert werden konnten. Die Technik ermöglichte den Tonfilm, wie wir ihn heute kennen, und sie kommt noch immer zum Einsatz, wenn auch in einer etwas veränderten Form. De Wolfe Music reagierte darauf und begann 1927 Aufnahmen für die neue Technik im eigenen Studio aufzunehmen. So wie knapp 20 Jahre zuvor mit den Sheets, entstand so die erste Musik-Library für Tonfilme, auf die der Begriff Library Music zurückgeht. Viele berühmte Filme aus dieser Zeit, darunter „Frankenstein“ von 1931 oder „Silver Blaze“ von 1937, verwendeten Produktionen von De Wolfe-Produktionen, die den Sound des damaligen Kinos prägten.

Unerwarteter Geldsegen

Heute ist die Bezeichnung Production Music etwas gängiger als Library Music. Was mit dem Film begann wurde schnell auch von anderen Medienformaten wie Radio, Werbung oder Nachrichten genutzt. Heute kommt die Musik auch in TV-Shows, Serien oder bei verschiedenen Formen digitalen Contents zum Einsatz, sodass es einen enormen Bedarf an Production Music gibt.

© Olena Sergienko

Der Unterschied dieser „Schwarzen Hütte“ des Musik-Business liegt vor allem in der Lizenzierung und den damit verbundenen Nutzungsrechten. Während im kommerziellen Bereich z.T. komplizierte Rechtsfragen geklärt und verschiedene Labels, Verlage und Urheber*innen konsultiert werden müssen, wie wir hier kürzlich erklärt haben, haben die Verlage und Labels der Production Music volle Kontrolle über die Musik in ihren Libraries. Zwar verdienen die Urheber*innen und Künstler*innen mit, wenn es zum Einsatz ihrer Musik kommt, aber sie haben kein Mitspracherecht bei der Lizenzierung. Eine Angabe des Copyrights ist nicht nötig, sodass die Urheber*innen teilweise erst von der Lizenzierung ihres Werkes erfahren, wenn die GEMA-Abrechnung ins Haus flattert. Es gibt Fälle, wo ein Stück seit über 30 Jahren unangetastet in solch einer Library liegt und plötzlich für einen Werbespot eines global agierenden Unternehmens lizenziert wird, was für die Urheber*innen durchaus lukrativ ist. Und letztlich sind es natürlich genau diese Fälle, auf die die Künstler*innen hoffen, wenn sie ihre Musik in die Libraries einspeisen.

Was eine Lizenzierung kostet, hängt zum einen von Einsatzort- und dauer der Musik ab, aber auch von der Häufigkeit der Ausstrahlung, der erwarteten Reichweite und auch der Größe des*der Kund*in. Die öffentlich-rechtlichen Sender zahlen natürlich einen sehr viel höheren Preis als der kleine Regionalsender mit eher geringen Zugriffszahlen. 

Eine Schatztruhe der Musikgeschichte

Aufgrund der langen Tradition dieses Wirtschaftszweiges sind die Libraries wahre musikgeschichtliche Schätze, die nicht für Musiksammelnde, sondern auch für das Sampling und so z.B. für Hip Hop Künstler*innen interessant sind. Mehr noch als De Wolfe Music gilt hier KPM als das wohl bedeutendste Production Music-Label, das einst in der EMI Production Music aufging, die jedoch kürzlich wieder zurück in KPM gerebrandet wurde.

KPM wurde 1955 von Robert Keith und William Prowse gegründet und hatte vor allem in den 1960er Jahren seine erste Blütezeit. Mit der sogenannte Greensleeves-Series prägte KPM den Klang des englischen und US-amerikanischen Fernsehens wie kein anderes Label. Die Serie wurde damals auf Schallplatten gepresst, damit die Sendeanstalten mit der Musik bemustert werden konnten. Da es sich um nicht-kommerzielle Musik handelte, standen die Schallplatten nicht zum Verkauf, sodass die wenigen Exemplare bei Sammler*innen sehr begehrt sind. Mittlerweile wurde der komplette KPM-Katalog digitalisiert und ist auch bei Streaming-Anbietern wie Spotify zu finden.

Musik aus dem Hause KPM wurde schon von den ganz großen im Pop gesampelt: Drake verwendete beispielsweise Stücke von Brian Bennett, die Gorillaz sampelten Keith Mansfield oder die Beastie Boys griffen auf Les Baxter zurück. Die genannten Musiker erschienen einst alle auf der besagten Greensleeve-Series.

Von Jazz bis Softporno

Was damals kompliziert über physikalische Bemusterung ablief, ist heute sehr viel einfacher, da die Kataloge komplett digital zur Verfügung stehen. Und dort lässt sich nahezu alles finden: Jazz oder Techno, Italo Disco oder French House, Horrorfilm oder Komödie, ja selbst französische Softporno-Musik der 70er Jahre. 

Gerade der Bereich der Film- und Fernsehmusik aus den letzten Jahrzehnten vor dem Millennium wurde in den 2010ern für Künstler*innen der sogenannten Hauntology-Szene interessant, zu der teilweise auch der Künstler Burial zählt. In den Hauntology-Stücken werden Samples geisterhaft verfremdet, um den Verlust einer Ära und das damit verbundene Gefühl sonisch zu repräsentieren. Auch über diesen Weg ist Production Music heute bekannter geworden.

Für Musikschaffende kann Production Music eine zusätzliche Einnahmequelle darstellen, die vor allem dann interessant wird, wenn die Musik nicht so recht zur Künstler*innen-Identität passen möchte oder zu sehr das Trademark anderer, erfolgreicher Künstler*innen bedient. Denn das ist bei der Production Music kein Problem und gewissermaßen auch deren Zweck. Wenn ich den David Guetta-Sound – warum auch immer – für meinen Werbespot haben, mir aber die aufwendige und wahrscheinlich kostspielige Lizenzierung sparen möchte, kann ich beispielsweise bei KPM genau danach Fragen und werde Musik bekommen, die eigentlich genauso klingt.

Production Music prägt unsere Medienwelt und spielt eine wichtige Rolle für Content Creator*innen und Musikschaffende. Ein Blick hinter den Vorhang lohnt sich.


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