Die Zeit ist gekommen – Frauen in der Veranstaltungsbranche

Die Musik- und Veranstaltungsbranche hat ein Problem hinsichtlich der Gleichbehandlung von Männern* und Frauen*. Das ist schon lange offensichtlich. Während der Pandemie und dem lange brach liegenden Kulturbetrieb wurden Rufe nach einer neuen Normalität laut. Diese fordert nicht nur einen geregelten Kulturbetrieb mit der Pandemie, sondern auch eine Beendigung von strukturellen Missständen, die den Kulturbetrieb seit jeher begleiten. Damit ist auch das Geschlechterverhältnis auf den Bühnen dieser Welt angesprochen, die noch zu oft von Männern bespielt werden. Da nun der Kulturbetrieb wieder langsam aufwacht, zeigt sich jedoch ein altbekanntes Bild. Und daran ändert auch die erste Dirigentin bei den Bayreuther Festspielen nichts.

Die Zeit ist gekommen – Frauen in der Veranstaltungsbranche

Bei den Bayreuther-Festspielen wurde kürzlich die erste Dirigentin vom Publikum gefeiert, hieß es kürzlich in den Kulturnews der Öffentlich-Rechtlichen. Die Teilnahme der Ukrainischen Oksana Lyniv und die positiven Reaktionen des Publikums sind ein Grund zur Freude. „Endlich“, äußerte sich Angela Merkel dazu. Denn das Festival hat eine 145 jährige Geschichte, die bisher ohne Frauen am Dirigent*innen-Pult geschrieben wurde. Aber nun sei die Zeit reif, sagte Lyniv selbst.

Über das Thema der Benachteiligung von Frauen* in der Musik- und Veranstaltungsbranche wird seit vielen Jahren intensiv gesprochen und diskutiert. Während der Pandemie hat diese Diskussion noch an Fahrt aufgenommen. Denn die erzwungene Pause des Kulturbetriebes wurde nicht nur genutzt, um über neue Konzepte und Formate nachzudenken, die diesen auch während einer Pandemie ermöglichen. Es ging auch darum, strukturelle Missstände aus der Zeit vor der Pandemie mit diesen neuen Konzepten gleich mit zu beseitigen. Einer davon ist die besagte Benachteiligung von Frauen* und nicht-heteronormativen Minoritäten.

Die Entscheidung der Bayreuther-Festspiele zeigt, dass der gesellschaftliche Druck durchaus steigt und auch große Institutionen zu einem überfälligen Umdenken anregt. Zumindest ist zu hoffen, dass wir nicht erneut 145 Jahre auf die nächste Dirigentin warten müssen.  Es gibt aber auch andere Beispiele, wo sich noch kein Unterschied feststellen lässt.

Erklärungsnot bei Rock am Ring

Im Mai machte in diesem Zusammenhang das Rock am Ring-Festival in negativer Hinsicht von sich reden. Denn in dem bereits angekündigten Lineup für 2022 waren unter den über 100 gebuchten Künstler*innen nur zwei Frauen. Das sächsische Netzwerk für Musikfrauen* “Music S Women*” hatte da mal nachgezählt und das Festival in Erklärungsnot gebracht. Die Erklärung war nicht überraschend. „Auch wir sind Teil einer Industrie, in der sich Veränderungen nur langsam, effektiv und nachhaltig, etablieren. Wie jedes Business ist auch das Livemusikgeschäft gesellschaftlich ein Abbild der Realität und jedes strukturelle Umkrempeln ein Prozess.“, zitiert der Freitag die Festival-Leitung.

Das Festival gibt vor, selbst Opfer des strukturellen Problems zu sein. Dabei ist es genau umgekehrt: das Lineup des Festival bildet ein falsches Bild der Realität ab. Schließlich besteht die Kreativbranche bzw. die Musikszene nicht nur zu 2 Prozent aus Frauen* – auch die Rockmusik-Szene nicht. Übrigens hat sich die Leitung der Bayreuther Festspiele auf dieselbe Erklärung wie das Rock am Ring berufen, warum es so lange gedauert hätte, bis endlich eine Dirigentin auftritt: Es hätte keine Dirigentinnen gegeben.

Alles wie früher

In England gibt es aktuell keine Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie, sodass die Festivals wieder planen und voraussichtlich stattfinden können. The Guardian hat sich hier die (teilweise noch nicht vollständigen) Lineups von 31 geplanten Festivals  angeschaut. Und da sieht es im Schnitt nicht ganz so dramatisch aus wie beim deutschen Rock am Ring, aber Gleichberechtigung auf der Bühne gibt es auch dort noch nicht. Die englischen Festivals präsentieren Lineups mit im Schnitt zwei Drittel Männern*. Aber es gibt auch zwei positive Beispiele: die Festivals Love Supreme und Deer Shed haben tatsächlich mehr Frauen* als Männer gebucht, was ein sehr positives Zeichen ist und anderen vielleicht in Zukunft als Vorbild nehmen können. Denn die zitierte Ansicht des Rock am Ring, es gäbe weniger musizierende Frauen*, die von vielen in der Szene geteilt wird, stimmt offensichtlich nicht.

Doch das britische Magazin hat sich nicht nur das generelle Geschlechterverhältnis angeschaut, sondern auch speziell die Headliner*innen. Und die liegen i.d.R. bei sogar 100 Prozent. Liam Gallagher, David Guetta, Duran Duran, The Streets, Chemical Brothers oder Dizzee Rascal sollen Besucher*innen zu den Festivals locken. Von Frauen* keine Spur. Hier könnten die Festival-Leitenden etwas mehr Mut beweisen.

Nicht reden, handeln!

In einem Gastbeitrag für den Spiegel übt die Musikerin Sophie Hunger scharfe Kritik an der Booking-Politik von deutschen Festivals. “Redet nicht nur, bucht Frauen!”, so die Überschrift des Beitrags. Auch sie kritisiert die Erklärung des Rock am Ring: Es sei falsch, dass es keine Frauenbands gibt, wie Programmdirektor*innen behaupten. Und wenn Frauen* nicht auf Festivals gebucht würden, verhinderten diese auch das Groß-Werden von weiblichen Bands. Die positiven Beispiele aus England hat auch Hunger zur Kenntnis genommen und wünscht sich das auch von Deutschen Booker*innen.

Die Clubkultur kennt diesen Vorwurf ebenfalls, zu wenig Frauen* ans DJ-Pult zu lassen. Die DJ-Szene ist klar von Männern* dominiert, was sich auch auf den Lineups Festivals elektronischer Musik widerspiegelt, so wie das Creamfields in Liverpool, das laut The Guardian mit 91 Prozent männlichen Bookings daher kommt. Auch im Berliner Nachtleben ist das Geschlechterverhältnis massiv unausgeglichen. Obwohl die Szene durchaus von erfolgreichen Frauen* geprägt wird, wie z.B. Labelbetreiberin Ellen Alien, Radio-DJ Anja Schneider oder Clubbetreiberin und Clubcommission-Vorstand Pamela Schobeß, bekommen Männer* einen Großteil der Bookings. Das ist nicht als Vorwurf an die genannten Frauen* gemeint, sondern soll darauf hinweisen, dass einzelne Erfolgsgeschichten noch keinen strukturellen Wandel bedeuten.

Dem Wandel auf der Spur

Diesem Wandel hat sich Label und Workspace Spoon verschrieben. Vor der Pandemie veranstaltete eine eigene Partyreihe, bei der ausschließlich Frauen* gebucht waren. Außerdem bietet es einen DJ-Workspace an, der sich speziell an Frauen* sowie Trans-Menschen oder nicht-binäre Personen richtet. Direkt im Club, wie in der Panorama Bar, oder in einem Online-Mentoring werden technische Fähigkeiten sowie die Kunst des DJing beigebracht. Ziel des Programms ist es mehr nicht-cis-männliche Personen auf die Bühnen des Nachlebens zu bringen, um ihnen mehr Sichtbarkeit zu verschaffen und gegen die kommerzorientierte Männerquote anzukämpfen.

Ein ähnliches Beispiel gibt es ganz aktuell vom Verband unabhängiger Musikunternehmer*innen e.V. Mit MEWEM Deutschland bietet der Verband ein Mentoring-Programm für Nachwuchskräfte in der Musikwirtschaft an, das explizit für Frauen sowie für trans und non-binäre Personen ausgeschrieben ist. Dabei bringen 12 erfahrene Branchenvertreter*innen, die ebenfalls den genannten Personengruppen angehören, ihre Erfahrung in den Bereichen Label, Verlag, Vertrieb, Booking, Promotion und selbstvermarktende Künstler*innen an die Teilnehmenden weiter. So sollen sich die Chancen erhöhen und die Diskriminierung innerhalb der Branche gebrochen werden.

Die Zeit ist gekommen

Wir stehen noch immer einem strukturellen Problem gegenüber. Dafür gibt es immer wieder genügend Beispiele, die uns das nicht vergessen lassen. Aber natürlich hat das Rock am Ring recht, wenn es sagt, dass ein struktureller Wandel nur langsam passiert. Und es gibt glücklicherweise genügend Beispiele dafür, dass dieser Wandel längst im Gang ist. Das Beispiel Rock am Ring ist aber genau deshalb so frustrierend. Denn genau dort, wo Personen die größte Handlungsmacht haben, ist das Problembewusstsein oft noch nicht vorhanden und der Wandel kann dementsprechend noch nicht wirksam werden. Aber wie Oksana Lyniv sagte: „Die Zeit ist gekommen.“


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