Bisher hat noch kein Club in Berlin coronabedingt schließen müssen. Sie alle sind noch da, beobachten still und abwartend den Corona-Trubel und wispern leise ihr Versprechen, dass sie noch da sein und ihre Türen öffnen werden, wenn es denn wieder möglich sein wird. Dabei sind sie die Letzten, die wieder öffnen werden, da sind sich eigentlich alle einig. Enges Tanzen mit schweißüberzogenen Körpern in Innenräumen mit tropischen Feuchtigkeitsverhältnissen klingt einfach zu sehr nach einem Paradies für Viren und deren Vermehrungsbestreben.
„Wir wussten, mit wem wir an einem Tisch sitzen“
Das Milliardenschwere Programm ‘Neustart Kultur’ der Bundesregierung erntete in den letzten Monat viel Kritik. Immer wieder hörten wir von Kreativschaffenden, die durch alle Raster der Corona-Hilfen gefallen waren und dass zugesagte Hilfen bis heute nicht gezahlt wurden. Für die Clubs in der Hauptstadt lief die Förderung erstaunlich schnell und weitgehend unkompliziert an. Die Sorgen zu Beginn der Pandemie, die Clubs würden nicht als Kultureinrichtungen anerkannt werden und keine Hilfen erhalten, erwiesen sich – zumindest in Berlin – als haltlos. Das hat zwei wesentliche Gründe: die guten Hilfsprogramme des Landes Berlin und die Lobbyarbeit der Clubcommission. Wir sprachen mit Lutz Leichsenring, Mitglied des geschäftsführenden Vorstands und Pressebeauftragter der Clubcommission. Dabei macht sich die Vermutung breit, dass der zweite Grund Bedingung des ersten war.
Seit 2007 gibt es den Zusammenschluss der Berliner Clubs, wo mittlerweile über 300 Clubs und Veranstalter*innen vertreten sind. Die jahrelange und in den letzten auch sehr erfolgreiche Arbeit der Clubcommission hat dafür gesorgt, dass mit Beginn der Krise ein sehr enger Austausch mit politischen Entscheidungsträger*innen möglich war, wie uns Lutz erklärt:
“Wir machen schon seit 20 Jahren Lobbyarbeit für Clubs und Clubkultur. Dafür müssen wir mit sehr vielen Politiker*innen und Verwaltungsmitarbeiter*innen auf allen politischen Ebenen sprechen. Als dann Hilfe benötigt wurde, hat das natürlich geholfen, weil wir wussten, mit wem wir an einem Tisch sitzen und es dort bereits ein Verständnis für unsere Problemstellung gab; die hatte man in den Jahren vorher eigentlich schon mal besprochen.”
So gab es bei ‘Neustart Kultur’ zwar Bedarf zur Justierung, aber die Kritik halte sich von Seiten der Clubcommission sehr in Grenzen.
Starker Politischer Player
Ein so gutes Standing hatten die Clubs lange Zeit nicht. Sie wurden stigmatisiert und galten als Spielstätten eines dunklen Milieus, politisch auf Augenhöhe mit Bordellen oder Spielcasinos. Sicherlich keine urbanen Stätten kultureller Praxis, die für eine Subventionierung in frage kämen. Heute sind Clubs in Berlin ein Standortfaktor, die die Stadt nicht nur attraktiver, bunter und vielseitiger machen, sondern auch große Summen in die Stadtkassen spielen und gleichermaßen Tourist*innen und Kreativschaffende locken.
“Es gab lange keine Anerkennung von Clubkultur. Eigentlich hat sich das erst verändert, seit es den Kultursenat gibt. Vorher waren wir hauptsächlich mit der Senatsverwaltung für Wirtschaft im Austausch. In den letzten Jahren gab es ein paar Milestones, darunter die Gründung des Musicboard Berlin, sodass wir in den Bereichen Tourismus, Wirtschaft sowie Kultur und Soziales zu einem relevanten politischen Player geworden sind. Wir arbeiten heute mit fast allen Senatsverwaltungen zusammen.”
Perspektive in Sechs Punkten
Die Pandemie wird nicht so schnell vorüberziehen, wie wir es letztes Jahr noch zu hoffen wagten. Und auch wenn die Clubs die letzten sein werde, die wieder öffnen dürfen, muss eine Perspektive her. Die Clubcommission hat eine solche erarbeitet und letzte Woche ihren Mitgliedern vorgestellt. Das ganze kurz und prägnant verpackt in einem Sechs-Punkte-Plan.
Teil dieses Plans ist auch das Pilotprojekt am 27. März im Säälchen: “Operation Heartbeat – Säälchen in Concert”. Das Sitzkonzert würde 20€ für Eintritt und Schnelltest kosten, ist aber natürlich längst ausverkauft. Nur wenn der Schnelltest nachweislich negativ und nicht älter als 12 Stunden ist, darf eingetreten werden.
Das Projekt wurde gemeinsam mit der Berliner Senatsverwaltung auf die Beine gestellt und steht unter strengen Auflagen bezüglich Hygiene und Social-Distancing. Insgesamt neun Spielstätten führen eine solche Veranstaltung durch. Das Berliner Ensemble und die Berliner Philharmonie haben ihre Veranstaltungen unter diesen Bedingungen bereits erfolgreich durchgeführt; hier gab es kein positives Testergebnis. Berlins Kultursenator Klaus Lederer ist bisher sehr zufrieden mit dem Ablauf.
Erfolgreiche Lobbyarbeit
Eine solche Veranstaltung mit Unterstützung des Senats auf dem Gelände des Holzmarkt wäre früher undenkbar gewesen. Sie markiert die erfolgreiche Lobbyarbeit und das Standing der Berliner Clubszene. Denn für das Überleben der Clubs in der Hauptstadt waren die Landeseigenen Hilfsprogramme sehr wichtig, die immer dann greifen sollten, wenn aus den Töpfen des Bundes nichts zu holen war. Und hier hätte Berlin die mit Abstand besten gehabt, wie uns Lutz erläutert. In anderen Städten, wo die Szene weitaus kleiner und weniger gut vertreten ist, sehe es teilweise nicht so gut aus; hier hätten die Clubs größere Probleme, ihren Anspruch auf die Hilfen geltend zu machen. Insofern sind die starken Hilfen des Landes Berlin durchaus als Errungenschaft der Arbeit der Clubcommission anzusehen.
Die Veranstaltung im Säälchen soll nur der Anfang sein. Der Sechs-Punkte-Plan fordert weitere Testveranstaltungen, eine stetes Monitoring des Ausgehverhaltens sowie flexible Öffnungszeiten im Live-Sektor. Auch die Einbindung von App-Lösungen für das Zutrittsmanagement und für Zeitstempel der Corona-Testergebnisse sowie eine Beteiligung an wissenschaftlichen Forschungsprojekten sieht der Plan vor. “Unser Ziel ist es, diese Übergangsphase jetzt so konstruktiv wie möglich zu gestalten”, erklärt uns Lutz.
RÄume für Diskurse und Kulturpraxen
Clubs sind nicht nur zum Feiern; es sind auch Safe-Spaces. Marginalisierten Communities bieten sie Sicherheit und schaffen Räume für politische Diskurse und Kulturpraxen, die woanders nicht stattfinden oder leichter unterwandert werden könnten. Clubs erfüllen also eine gesellschaftlich wichtige Funktion, die seit über einem Jahr schlichtweg fehlt. Auch dafür ist der Sechs-Punkte-Plan gedacht:
“Es ist wichtig, dass wir Angebote machen können, damit sich die Community wieder trifft. Unsere Akteur*innen sind da kreativ genug, um Dinge anders zu machen. Wir können uns gut vorstellen, Kinoabende, Sitzkonzerte oder Ausstellungen zu veranstalten, auch Tanzveranstaltungen in Außenbereichen sind denkbar. Aber die sind finanziell nicht sonderlich erträglich, sodass es in dieser Übergangsphase weiterhin nur mit finanzieller Unterstützung geht.”
Club als Schutzraum verstehen
Clubs sind ein Symbol für Freiheit. Auch wer sie zuvor so gut wie nie besucht hat, spürt das Fehlen der Möglichkeit, die nächsten 12 Stunden ausgelassen durch die Clubs zu ziehen. Ihre geschlossenen Türen triggern Ängste an, die den Verlust unserer Freiheit und Selbstbestimmtheit betreffen.
“Es ist eine große Sorge von vielen, dass die aktuell eingeschränkte Freiheit nicht wieder vollumfänglich zurückgegeben wird. Wir werden uns mit allen Kräften dafür einsetzen, dass wir all das, was wir in den letzten Jahren erkämpft haben, nach der Pandemie wieder zurückbekommen. Dazu gehört, den Club als Schutzraum wirklich auch als solchen zu verstehen. Ein Raum, in dem Dinge unkonventionell gemacht werden, der eine gewisse Anonymität gewährleistet und der Menschen einen Platz in der Gesellschaft gibt, die sich nicht entlang der gesellschaftlichen Normen identifizieren.”
In der Krise wird die gute Lobbyarbeit der Clubcommission sichtbar. Doch der Sechs-Punkt-Plan zeigt an, dass noch viel zu tun ist. Gerade im Angesicht einer sprunghaften Politik, die gefühlt täglich neue Lockerungen verspricht, um sie anschließend mit neuen Maßnahmen wieder zu kassieren.
Pandemie-Müdigkeit vs. Freiheitsrechte
Die Gesellschaft ist von einer Pandemie-Müdigkeit ergriffen und längst bereit, Auflagen und Maßnahmen in Kauf zu nehmen, die unsere Freiheit einschränken, wenn der kulturelle Sektor nur endlich wieder öffnet. Lutz und die Clubcommission erinnern uns daran, dass diese immer nur temporär sein dürfen und wir uns nicht an diese gewöhnen sollten:
“Die Sperrstunde kam, das Alkoholverbot kam; und das muss alles wieder zurückgedreht werden. Das heißt nicht, dass alles wieder so werden soll wie vorher. Auch bei uns gibt es Dinge, die falsch gelaufen sind und die man sich nach der Pandemie anders vorstellt und verändern wird. Aber dazu gehören sicher nicht die erkämpften Freiheitsrechte!”
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