In den letzten Wochen standen alle Zeichen auf Normalisierung. Ein post-pandemisches Leben inmitten der Pandemie schien möglich. Trotz steigender Inzidenz verhielt sich die Politik lange ruhig und stellte keine weiteren Maßnahmen in Aussicht. Der Kulturbetrieb lief langsam an und selbst Clubs konnten mithilfe der 2G-Regel wieder öffnen. Doch nun steht all das wieder auf der Kippe. Die bundesweite Inzidenz erreicht einen neuen Höchstwert, die Belegung der Intensivbetten durch Corona-Patient*innen nimmt zu und von vielen Seiten werden Forderungen nach neuen Einschränkungen und Maßnahmen laut. Das schürt neue Unsicherheiten und Ängste bei Kreativschaffenden und Veranstalter*innen.
Wird 2G bundesweit zur Regel?
In vielen Bundesländern gibt es inzwischen wieder Einschränkungen, von denen natürlich auch der Kulturbetrieb betroffen ist. In Sachsen gilt ab heute, den 8. November die 2G-Regel für sämtliche Innenräume von Kultur- und Freizeiteinrichtungen, Clubs, Bars und Diskotheken sowie für alle Großveranstaltungen. Hier gibt es teilweise Landkreise mit knapp vierstelligen Inzidenzen. Bayern hat seit 7. November das sogenannte 3G+-Modell eingeführt. Kultureinrichtungen und -veranstaltungen dürfen nur von Geimpften, Genesenen oder Menschen mit negativem PCR-Testergebnis besucht werden. Während dieser Text entsteht, ist allerdings die Krankenhaus-Ampel auf rot gesprungen, sodass auch hier ab Dienstag, den 9. November die 2G-Regel für alle Kultureinrichtungen gilt.
Weitere Länder planen ebenfalls solche Maßnahmen. Darunter auch Berlin, wo der Senat am heutigen Montag über eine Ausweitung der 2G-Regel beraten wird. Bereits mehrere Spitzenpolitiker*innen haben diese bereits im Vorfeld gefordert. Darunter auch Franziska Giffey von der SPD und Bettina Jarasch von den Berliner Grünen, wie der rbb berichtet. Zwar sei nicht klar, ob es bereits am Montag eine Entscheidung dazu geben werde, aber spätestens bei der nächsten regulären Sitzung am 16. November wird mit dieser zu rechnen sein. Auch Baden-Württemberg plant die höchste Gefahrenstufe auszurufen, sodass auch hier die 2G-Regel flächendeckend und für sämtliche Kultureinrichtungen gelten wird.
Müssen Clubs wieder schließen?
Im Kultur- und Veranstaltungssektor dürften diese Entwicklungen große Unsicherheiten verursachen. Denn steigt das Infektionsgeschehen weiterhin, sind auch weitere Maßnahmen nicht ausgeschlossen. In Sachsen wird bereits über eine Wiedereinführung der Maskenpflicht bei 2G-Veranstaltungen beraten. Die Live-Initiative Sachsen (LISa) hat daraufhin einen offenen Brief an die Politik gerichtet. Denn das würde eine erneute Schließung der Clubs bedeuten, da solche Veranstaltungen mit Abstand und Maske nicht durchführbar seien, wie Steffen Kache vom Leipziger Club Distillery dem WDR erklärt.
Es gibt nach wie vor den Sonderfonds des Bundes für Kulturveranstaltungen, für den der Bund zweieinhalb Milliarden Euro zur Verfügung stellt und der aus zwei Modulen besteht. Das erste ist die Wirtschaftlichkeitshilfe, die dann greift, wenn zu Veranstaltungen aufgrund des Infektionsschutzes weniger Besucher*innen zugelassen sind, also keine Vollauslastung möglich ist. Das zweite Modul ist die Ausfallabsicherung, die den Veranstaltenden Planungssicherheit geben soll. Muss eine Veranstaltung coronabedingt abgesagt oder verschoben werden, übernimmt der Fonds den größten Teil der Kosten. Wie der Fonds funktioniert haben wir hier zusammengefasst.
Den Clubs in Sachsen hilft das nur bedingt. Denn wenn sie sich selbst dazu entscheiden, die Veranstaltung unter den geltenden Bestimmungen nicht stattfinden zu lassen, greift die Ausfallabsicherung logischerweise nicht.
Impfdruck auf dem Rücken der Kultur
Es gilt aber nicht nur die Sorge um die jeweils geltenden Maßnahmen und wie sich diese auf die Veranstaltungen auswirken. Problem ist auch die Bereitschaft der Besucher*innen, trotz eines so hohen Infektionsgeschehens Kulturveranstaltungen zu besuchen. Noch im September hat Stephan Hengst von der Berlin Music Commission beim Content Creator Festival dazu aufgerufen, sich Tickets zu kaufen und den Veranstalter*innen zu vertrauen, dass sie sich um die Sicherheit der Gäste kümmern. Denn das Verhalten der Besuchenden war zu diesem Zeitpunkt noch sehr zögerlich. Dies ändert sich langsam. Doch die neuen Höchstwerte und neue Maßnahmen könnten dem wieder einen Dämpfer verpassen. Hinzu kommt der Ausschluss der Ungeimpften in den genannten Bundesländern bzw. die finanzielle Belastung eines PCR-Tests in Bayern, sodass sich weniger Menschen auf Kulturveranstaltungen blicken lassen werden.
Aus wirtschaftlichen, aber auch aus ethischen Gründen hat die Berliner Clubcommission schon vor einiger Zeit einen durchaus sinnvollen Vorschlag gemacht. Auch sie teilt die Einschätzung der LISa, dass Clubveranstaltungen mit Abstand und Maske nicht durchzuführen seien. Es solle stattdessen die 3G+-Regel gelten, allerdings mit staatlich finanzierten PCR-Tests (ein Test solle nach österreichischem Vorbild 15 Euro kosten). Ist das Infektionsgeschehen so wie jetzt sehr hoch, müssten auch Geimpfte und Genesene einen negativen Test vorlegen, bei einer niedrigen Inzidenz nur die Ungeimpften. So würde niemand ausgeschlossen und die Veranstalter*innen hätten Planungssicherheit. Das Pilotprojekt im August hat gezeigt, dass diese Strategie gut funktioniert.
Die Politik zieht diese Variante nicht in Betracht bzw. lehnt sie aktiv ab. Das mag tatsächlich wirtschaftliche Gründe haben. Es dient aber sicherlich auch dem Zweck, den Druck auf Ungeimpfte zu erhöhen und zur Impfung zu bewegen. Ganz gleich, wie mensch diese Strategie bewertet, bleibt die Frage, ob diese zu Lasten der Kultur- und Kreativbranche durchgeführt werden sollte. Schließlich muss diese einen großen Teil der Folgen tragen.
Deutscher Kulturrat fordert Impfpflicht
Den Kreativschaffenden geht es nach wie vor nicht gut. Das zeigt auch die enorm hohe Zahl an Anträgen der Künstler*innenförderung im Rahmen von NEUSTART KULTUR. Bei der aktuellen Förderrunde sind 800 Einträge bei der Initiative Musik eingegangen. Das sind zwar etwas weniger als zu Beginn des Programms – da waren es teilweise über 1.000 pro Förderrunde, wie uns im Interview erzählt wurde –, aber immer noch sehr viel mehr als vor Corona, wo es nur etwa 100 Anträge waren. Außerdem besteht nach wie vor das Problem der Abwanderung in andere Wirtschaftsbereiche. Es fehlen akut Fachkräfte im Veranstaltungssektor und viele Künstler*innen haben sich einem anderen Broterwerb zugewandt. Hier zeigte sich Stephan Hengst beim Content Creator Festival zwar optimistisch, dass sich dies im Laufe der Zeit wieder regulieren werde. Die nun wieder steigende Unsicherheit dürfte dies aber zumindest verzögern.
Der Deutsche Kulturrat hat derweil den “Corona versus Kultur”-Newsletter reaktiviert und spricht sich sehr deutlich für eine generelle Impfpflicht aus, da diese die jetzige Situation hätte verhindern können. Doch der Politik fehle der Mut, diesen Schritt zu gehen, wie es im aktuellen Newsletter deutlich vom Geschäftsführer Olaf Zimmermann formuliert wird. Ob sich eine solch drastische Maßnahme mit der Rettung des Kultursektors legitimieren ließe, soll hier nicht diskutiert, aber mit einem großen Fragezeichen versehen werden. Vor allem deshalb, weil zu wenig darüber bekannt ist, ob eine Impfpflicht tatsächlich mit der Rettung der Kultur einhergeht.
Dem Veranstaltungssektor und mit ihm der Kultur- und Kreativbranche könnte ein weiterer harter Winter bevorstehen. Und es werden viele Fragen verhandelt werden müssen, wie wir in Zukunft mit der Pandemie leben können und wessen Leid wir dafür in Kauf nehmen möchten.
Alle Infos zum Sonderfonds des Bundes für Kulturveranstaltungen gibt es hier.
Zum allgemeinen Portal von NEUSTART KULTUR geht es hier entlang.
Infos zu den Überbrückungshilfen des Bundes und weiteren Programmen stehen hier bereit.
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