Der Fachkräftemangel in Deutschland ist schon länger als Problem bekannt. Am dringlichsten ist dieser in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik, also in den sogenannten MINT-Berufen. Doch auch viele andere Branchen sind betroffen. Laut Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) geben über 50 Prozent der Unternehmen in Deutschland an, im Fachkräftemangel die größte Gefahr für die Unternehmensentwicklung zu sehen. Wie drastisch diese angestiegen ist, zeigt der Vergleich mit 2010, wo diese Gefahr von nur 16 Prozent der Unternehmen gesehen wurde.
Alarmierende Zahlen
Eine Befragung des Gesamtverbandes Kommunikationsagenturen (GWA) zeigt nun, dass auch Agenturen seit einigen Jahren große Probleme haben, geeignetes und qualifiziertes Personal zu finden. Allein bei den 85 befragten Mitgliedern des GWA gibt es aktuell laut Pressemitteilung 1.492 unbesetzte Stellen. Und in 2022 kommen laut Befragung noch weitere 2.000 Stellen hinzu, die zu besetzen sein werden. Der GWA ist alarmiert.
In der Pressemitteilung sagt GWA-Präsidentin Larissa Pohl: „Schon diese Zahlen alarmieren. Hochgerechnet ist sogar davon auszugehen, dass es in der Agentur-Szene insgesamt tausende, wenn nicht gar mehr als zehntausend Mitarbeitende fehlen. Dies ist die augenblicklich größte gemeinsame Herausforderung der Agenturen in Deutschland. Für uns hat das Problem daher höchste Priorität und wir gehen es im Rahmen einer Offensive an – mit kurz-, mittel- und langfristig wirkenden Aktivitäten.“
Am größten sei der Mangel in den Bereichen Beratung, Technologie & Programmierung sowie Digitale Kommunikation. Die fehlenden Fachkräfte in den MINT-Berufen verlängert sich also auch in den Agentursektor und berührt damit auch die Kultur- und Kreativbranche, da es eigentlich keine Agentur gibt, die ohne Kreativschaffende auskommt. Auch in diesem Bereich der Kreation fehlen die Fachkräfte, wie die Grafik des GWA zeigt.
Zu Wenig Zeit für Kreativität
Kreative haben es ohnehin nicht leicht im Agenturalltag, da sie nur zu ca. einem Drittel ihrer Arbeitszeit den Raum für kreative Tätigkeiten finden würden, wie eine Studie des Softwareherstellers Adobe herausgefunden hat, die zu nicht ganz uneigennützigen Zwecken erstellt wurde. Die anderen zwei Drittel müssten Kreativschaffende für administrative Aufgaben, Team-Meetings, Verwaltungsarbeit oder Projektmanagement verwandt werden.
Eugen Gross, Gründer der Firma aiconix, widmet sich genau diesem Problem und bietet Lösungen an, um Teile dieser Aufgaben an eine Künstliche Intelligenz abzugeben, die den Arbeitsalltag von Kreativschaffenden erleichtern soll. So sollen sich diese verstärkt auf die kreativen Prozesses konzentrieren können. Aber auch Eugen kennt das Problem des Fachkräftemangels für seine Unternehmen. Im Interview erzählte er uns, wie schwer es sei, Fachkräfte für die technischen Anforderungen seiner Produkte zu finden.
In den Agenturen sind Kommunikation und Absprachen enorm wichtig. Laut Adobe-Studie stehen gerade Kreativschaffende in ständigem Austausch mit Marketing, Business-Operations, Kund*innenbetreuung und Produktmanagement. Schließlich sind diese maßgeblich für die ästhetische Performance des Produktes oder der Dienstleistung verantwortlich, was viel Absprache und Fingerspitzengefühl verlangt. Solche Prozesse kosten viel Zeit. Unterbesetzte Abteilungen belasten hier nicht nur den Agenturalltag und die kreativen Prozesse, sondern gefährden möglicherweise auch den Erfolg des Unternehmens.
Viel Konkurrenz, wenig Fachkräfte
Ein weiteres Problem ist die Konkurrenz unterhalb der Agenturen. Es ist ohnehin schon schwer, sich auf dem Markt von anderen abzuheben und herauszustechen. Erst recht dann, wenn es an gutem Personal fehlt. Und so ist es nicht ungewöhnlich, dass die wirklich guten Arbeitskräfte durch Headhunter*innen aufgespürt und abgeworben werden. Für Startups und kleine Agenturen kann das zu einem ernsten Problem werden, da am Ende oft die Höhe des Gehalts und die Reputation der Agentur über die Wahl des Arbeitsplatzes entscheidend sind. So ist es gerade für diese Gruppe besonders schwer, sich auf dem Markt zu etablieren. Auch deshalb, weil Agenturen neue Aufträge über zeit- und kostenintensive Pitches an Land ziehen müssen, wo es ein enormer Konkurrenzdruck herrscht und dementsprechend professionelles Personal und gut aufeinander abgestimmte Arbeitsabläufe gebraucht werden.
Kurzfristig ist das Problem wohl nicht zu lösen. 2022 könnte also für Agenturen, die im Wachstum begriffen sind und Personal brauchen, schwierig werden. In der aktuellen Lage der Pandemie und der Krise im Kultur- und Kreativsektor könnte sich in den nächsten Jahren auch der Mangel an Kreativschaffenden zuspitzen. Die Unsicherheiten der Branche lassen nicht nur viele Kreativschaffende abwandern. Es gibt auch weniger Nachwuchs, da sich weniger für den risikoreichen Weg in der Kultur- und Kreativbranche entscheiden. Hier ist auch die Politik nach wie vor gefragt, die Unsicherheiten zu minimieren und Deutschland zu einem attraktiven Wirtschaftsstandort für Fachpersonal in allen Bereichen zu machen. Aber auch Bemühungen von Interessenverbänden wie der GWA sind wichtig, um das Problem von der anderen Seite her anzugehen.
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