Virtual Artists – Hologramme als Geschäftsmodell

Während hierzulande Hologramme auf der Bühne eher noch eine Kuriosität darstellen, werden auf dem asiatischen Musikmarkt bereits die ersten Major-Deals mit ihnen geschlossen. Sind die sogenannten Virtual Artists also die Zukunft der Musikindustrie? Im digitalen Raum sind sie längst etabliert und zählen als Influencer*innen, Models und Sänger*innen enorm viele Follower*innen und Klickzahlen. Mit der neuesten Hologramm-Technik könnte sich ihr Erfolg zunehmend auch auf den analogen Raum ausweiten. Außerdem bieten ihnen NFTs und sogenannte Social-Tokens spannende Einnahmequellen. Was bedeutet das alles für die Zukunft der Kreativwirtschaft? Wir haben einen Blick in die Welt der Virtual Artists geworfen.

Virtual Artists – Hologramme als Geschäftsmodell

In den Sci-Fi-Welten von Star Wars und Star Trek aus dem letzten Jahrtausend war das Hologramm noch eine futuristische Spielerei. In der Saga von George Lucas kommt es als dreidimensionale Video-Telefonie in krisseliger Röhrenfernseh-Ästhetik zum Einsatz. Bei Star Trek: Raumschiff Voyager bildet es in der Rolle des “Doktor” die Schnittstelle zwischen Künstlicher Intelligenz und Menschlicher Materialität, das Hologramm quasi als Interface, das die Kommunikation zwischen Mensch und Maschine ermöglichen und vermenschlichen sollte.

Hologramme zum Anfassen?

© Becky Fantham

Heute finden sich immer mal wieder Hologramme auf den Bühnen der Welt, die vom oberen Ende der Musikindustrie bespielt werden. Die bekanntesten hierzulande sicherlich die Gorillaz, der japanische Cyber-Star Hatsune Miku und natürlich Tupac, der 2012 auf dem Coachella in Kalifornien zu sehen war, obwohl er bereits 1996 erschossen wurde. Allerdings geht es bei den aktuellen Beispielen der Holography weniger darum, eine Maschine zu vermenschlichen, als vielmehr etwas Nicht-Menschlichem (bzw. Nicht-Mehr-Menschlichem) eine dreidimensionale Gestalt zu geben: den Virtual Artists.

Technisch gesehen war Tupac allerdings kein Hologramm, sondern eine reine Projektion. Die Dreidimensionalität war abhängig vom Winkel der Betrachtenden. Die Hologramme von beispielsweise Hatsune Miku sind heute zwar schon sehr viel besser und tiefenschärfer, aber noch immer handelt es sich um zweidimensionale Projektionen, deren Dreidimensionalität nur ein Effekt ist. Anders ist das bei einer neuen Technik, die tatsächlich mit Partikeln arbeitet, die von einem unsichtbaren Laserstrahl im Raum bewegt und farblich beleuchtet werden können. Diese Partikel sind sogar in der Lage, akustisches und haptisches Feedback zu senden, sodass nicht nur das Prinzessin Lea-Hologramm in den Bereich des Möglichen rückt, sondern auch der Doktor vom Raumschiff Voyager, der physisch interagieren konnte.

Wann die Künstliche Intelligenz in solche Hologramme einziehen wird, bleibt vorerst offen. Aktuell bilden Hatsune Miku & Co. nur die Schnittmenge aus dem digitalen und dem analogen Raum bzw. aus (weitgehend) menschlicher Kreativität und virtueller Performance; was digital produziert wird, kann analog performt werden. Dahinter steckt jedoch eine menschliche Kreativleistung.

Bühnen als Barrieren

Bei der neuen Casting-Show “Alter Ego” des US-amerikanischen Senders Fox bekommen Hologramme bzw. Virtual Artists aktuell wieder eine Mainstream-Bühne. Es ist quasi die logische Fortsetzung der Reihe von “The Voice” und “The Masked Singer”. Die Teilnehmenden treten nicht mehr selbst vor das Publikum, sondern in Gestalt eines virtuellen Avatars, der via Hologramm-Technik auf die Bühne projiziert wird. Die tatsächlichen Performer*innen stehen derweil in einem kleinen Raum hinter der Bühne und tragen einen Motion Capture Suit, mit dem sie das Hologramm auf der Bühne steuern können.

Damit ist ein Aspekt der Barrierefreiheit im Show-Business angesprochen. Die Angst vor öffentlichen Auftritten vor Publikum sowie vor Lookism (Body Shaming) und Diskriminierung kann den Erfolg von Kreativschaffenden im Bereich der Performing Arts durchaus einschränken oder gar verunmöglichen. Dieser Aspekt wird von “Alter Ego” insofern kommerziell ausgeschlachtet, da sich nicht auf die Avatare beschränkt wird, sondern die Personen im Hintergrund inklusive ihrer persönlichen Probleme gezeigt und intensiv interviewt werden. Dabei wird keine Gelegenheit ausgelassen, zu erwähnen, wie toll und hilfreich die Show ist, was zu Tränen auf der Bühne (die Avatare können weinen) sowie in der Jury und im Publikum führt. Ganz gleich, ob die Sendung nun so schlecht ist, wie der Guardian ausführt, das Konzept ist für die Kreativwirtschaft interessant.

Art Above Ego

Virtual Artists sind nicht neu. Wir stellten bereits Model und Sängerin Lil Miquela vor, die 3 Millionen Follower*innen auf Instagram hat. Letztes Jahr hat dann auch Grimes ihre Virtual Artist „War Nymph“ vorgestellt, die nicht nur ihr neues Album promoten sollte und teuer als NFT-Art verkauft wurde. „War Nymph“ soll ein ganzes digitales „Leben“ leben, erwachsen werden und auch sterben sowie in Computerspielen spielbar sein. Für Grimes steht dabei die Frage nach unserer digitalen Identität. „War Nymph“ stelle für sie auch einen Schutzraum dar, der an ihrer Stelle in der Öffentlichkeit stehen kann. Wahrscheinlich saß sie auch aus diesem Grund in der Jury von „Alter Ego“.

Mittlerweile sind Virtual Artists keine Spielerei mehr, sondern ein Geschäftsmodell. Spirit Bomb ist Label und Produktionsfirma für Virtuelle Künstler*innen. Unter dem Claim „Art Above Ego“ werden Shows mit den unter Vertrag stehenden Fabelwesen aus fremden Welten realisiert und die Avatare mittels Hologramm- und 3D-Technik auf die Bühne gebracht (siehe Titelbild zu diesem Artikel). Es mag aktuell und in hiesigen Kulturkreisen noch eine Nische sein, doch in Zukunft wird das Phänomen diese sicherlich verlassen. Die Warner Music Group hat kürzlich mit dem pan-asiatischen Dance-Ableger Whet Records die erste Virtual Artists unter Vertrag genommen. Ha Jiang heißt das Virtual Idol, das nun als erste ihrer Art einen Plattenvertrag mit einem Major-Label in der Tasche hat.

Das Beispiel Ha Jiang zeigt, dass Virtual Artists sich nicht auf nicht-menschliche Fabelwesen beschränken, sondern gerade die mit menschlichem Antlitz große Erfolge erzielen. Umso besser die Technik wird, umso menschlicher werden die Avatare aussehen und sich „bewegen“ können. Und da drängt sich dann die Frage auf, ob sich so nicht das Filter-Problem der Sozialen Medien in den analogen Raum verlängert und verschärft. Schon heute verlieren Jugendliche den Bezug zu ihrem eigenen Körper, wenn sie sich selbst nur noch durch die mit Filtern bearbeiteten Fotos kennen.

Virtualität statt Flugmeilen

Ein anderer Aspekt von Virtual Artists, der von den Befürwortenden hervorgehoben wird, betrifft den Klimawandel. Denn die Avatare sind nicht Ortsgebunden. Ihre Performances können aufgezeichnet oder von zu Hause aus ausgeführt werden oder brauchen ohnehin keine Menschen mehr jenseits von Techniker*innen. So würden viele von der Kreativbranche verursachten Flugmeilen wegfallen und von einer Datenübertragung ersetzt werden. Die kosten zwar auch Energie, aber eben keine Flugmeilen. Im Fall von Hatsune Miku sind die Kreativschaffenden schon jetzt nicht auf dem Konzert anwesend, da hier auch keine Live-Performance im eigentlichen Sinne stattfindet, sondern nur das aus der Community kommende Material präsentiert wird, und auch bei Ha Jiang gibt es keine Live-Performance im eigentlichen Sinne mehr.

Während die einen in den Virtual Artists den Sargnagel menschlicher Kreativität erkennen wollen, sehen andere neue Einnahmequellen für die Musikindustrie sowie die Möglichkeit zu deren Demokratisierung. Denn der Wegfall der Ortsgebundenheit von Künstler*innen und Performer*innen ermöglicht natürlich auch simultan stattfindende Konzerte an verschiedenen Orten der Welt. Hier würde nicht nur mehr Geld mit weniger Aufwand eingespielt werden können, die Einnahmen könnten auch anders und fairer verteilt werden. Viele Musikproduzent*innen arbeiten für Künstler*innen, die – von den Labels und Verlagen mal abgesehen – einen Großteil der Einnahmen für sich beanspruchen. Die Beteiligung an den Einnahmen liegt hier teilweise bei nur 2-3% für die Produzent*innen. Fielen die Kosten für den Act weg, könnte sich dies ändern.

Anteile am Star

Hier ist natürlich auch die Blockchain-Technologie interessant. Die Plattform Fyooz bietet schon jetzt sogenannte Social Tokens an, mit denen Anteile an einem*r Künstler*in in Form von NFTs erworben werden können. Mit steigendem Erfolg steigt auch der Wert der NFTs. So können Künstler*innen unterstützt werden, was diese wiederum unabhängiger von Labels und Verlagen macht und zu einer Demokratisierung führen könnte. Das ist für Virtual Artists besonders interessant, da sie nicht mehr tatsächlich als Person in Erscheinung treten müssen, um Finanzierungen zu bekommen.

Jede technologische Entwicklung kann positiv wie negativ gelesen werden. Und wie schon an anderer Stelle gesagt, ist eine Künstliche Intelligenz, die eigenen Content produziert, diesen in der Blockchain anbietet und von einem Virtual Artist performen lässt, gedanklich gar nicht mehr so fern. Virtual Artists stellen hier sicherlich eine Übergangsphase dar, die aktuell durchaus Potentiale für Kreativschaffende bereithält.


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